Zu den Grünen Bildern

Michael Stephan

Zu den  „Grünen Bildern“ und ihren Veränderungen

in der Ausstellung: Daniéle Orcier, Mathilde Papapietro, Infinie Promesse de Paysage, Grignan, France –

Hamburg, März 2025

1.

Alle monochromen Bilder, die im Laufe der Jahre ungefähr seit 1990 entstanden sind, tragen ein Versprechen in sich. Das Versprechen einer Farbe, einer Beziehung, eines Raumes, einer Gegend, einer Landschaft, die in sich selbst Vergangenheit als Geschichte des Werdens, den Augenblick der Gegenwart und das Versprechen einer Zukunft birgt.

Ich habe mich von Anfang an geweigert, die malerischen Versuche als Bilder in der Tradition der monochrom Malerei zu sehen, denn es ging mir immer um die Darstellung von Wahrgenommenem, um Wiedergabe, um Spiegelung und um Identifikation, um Prozesse und um die wunderbare Möglichkeit der Veränderung.

Natürlich ist es in der Farbe-an-sich-Malerei nicht so, dass auch das alles eine Rolle spielen würde, aber es steht nicht unbedingt im Vordergrund, ist nicht Anlass, sondern es geht dabei vor allem anderen um Farbe oder um das Bild für sich selbst als gegenstandslose Äußerung. Das wäre mir zu hermetisch, zu abgehoben zu unrealistisch, zu abgrenzend, wenig auf das bezogen was wirklich um uns und mit uns geschieht.

Ein Bild ist meiner Erfahrung nach immer und primär bestimmt vom Verhältnis zu einem Gegenüber, zu einem Raum, ein Bild spiegelt und reagiert auf das Gegenüber, auf den Raum auf die Zeit. Es verändert sich mit der Zeit auch wenn das unangenehm ist. Nichts bleibt und ein Bild meiner Wahl reagiert sogar im Augenblick, ein Bild, das kommuniziert und das sich wandelt, weil es sich dem Risiko der Kommunikation, dem Risiko der Welt aussetzt.

2.

Das Bild ist also zunächst ein Objekt im Raum. Und es hat sich mit der Zeit in meinem Verständnis und meiner Wahrnehmung als ein Körper entwickelt, der eine körperliche Membran wie die Haut eines Leibes bildet, die die transparente Grenze zwischen innen und außen markiert und gleichzeitig unsere Wahrnehmungen und Empfindungen wie eine Projektionsfläche transportiert. Zunächst also Objekt und dann auch ein verletzlicher, vergänglicher Körper.

Daher haben meine Bilder immer etwas mit der lebenden Umgebung zu tun, treten von Anfang an in Beziehung zum Raum als Lebensraum, als Biotop. Sie bilden Raum und Projektionsfläche von Zuständen. Das Bild entwickelt damit eine Geschichte, eine persönliche Geschichte des Körpers, die sich nicht nur in die Vergangenheit seiner Herkunft und Entwicklung erstreckt, sondern mit ihrem Angebot der leiblichen Identifikation als Körper auch vom Jetzt in das Zukünftige reicht.

3.

Als ich Ende der Achtzigerjahre das erste grüne Bild malte, versuchte ich auf einer Leinwand den grünen Algen- und Moosbewuchs eines Fassaden-Verkleidungselementes, das aus Steinkohlenteer fabriziert war, als Farbeindruck, als Resonanz einer organischen Veränderung wiederzugeben. Ich merkte dabei, dass sich der grünliche Eindruck auch auf die weiße Wand übertrug, an die ich die große Leinwand gelehnt hatte. Hinter dem aufgestellten Bild entstand ein neuer Farbraum zwischen Bild und Wand. Auf die Wand trug ich einen Streifen Rasiercreme auf, die leicht grünlich eingefärbt war und das Licht des Raumes spiegelte.

Später dann trug ich die Rasiercreme direkt auf die Leinwand auf und fügte auf der Rückseite eine zweite Leinwand hinzu, so dass zwischen diesen beiden lichtdurchlässigen Membranen ein diaphaner Farbraum entstehen konnte. Im Zwischenraum der beiden Malflächen konzentriert sich das eigentliche verborgende Geschehen, das sich in der Distanz zur Wand dann in einem farblich aufgehellten Schattenbereich hinter dem Bild als temporäre Erscheinung zeigt.

Jedes Bild der Werkreihe seit 1990 trägt den Namen Grünes Bild, auch wenn es einen anderen Farbeindruck herstellt oder mit anderen Farben behandelt wurde und andere Resonanzen erzeugt.

4.

Mit der Wahl von Hautleim und Rasiercreme hatte ich es zunächst mit Materialien zu tun, die lichtdurchlässig und transparent sind, Materialien, die mit einer Micro-Messerspitzen-Dosis Farbpigment auskommen um den ganzen Raum mit einem Farbeindruck zu erfüllen, ein Eindruck, der an der Grenze von objektiver Wahrnehmung und subjektiver Imagination liegt.

Die verwendeten und mit der Zeit auch wiederverwendeten Malmaterialien von früheren Bildern entwickeln auf ähnliche Weise konkrete stoffliche und auch assoziativ imaginative Beziehungen zum Körper als einem subjektivem Wahrnehmung- und Empfindungsraum ebenso wie sie ein politisch-kollektives Spannungsfeld als Beziehungsraum sichtbar machen können.

Viele der Bilder tragen in sich noch immer die Spuren eines Wassereinbruchs in das Bilderlager nach einem Starkregen. Spuren von Schimmel oder Stockflecken werden sichtbar und in einem folgenden Malprozess aufgenommen und integriert. Ein Bild entsteht bedingt durch das Risiko der Verwendung reaktiver Malmittel in Resonanz zu dem, was in der Geschichte des Bildkörpers in seinem unmittelbaren Kontext geschieht.

Warmleim als Bindemittel stammt aus körperlichem Material, aus tierischer Haut vom Hasen beispielsweise. Und Rasiercreme ist eine Substanz mit einer die körperliche Haut schützenden und pflegenden Funktion. Schneckenschleim der Nacktschnecke kann einerseits Ekel assoziieren, wird aber ebenso als hautpflegende Substanz verwendet.

Die Verletzlichkeit der Schnecke, ihre Fortbewegungsart des Kriechens ohne Gliedmaßen, ihre Intelligenz der räumlichen Orientierung, ihre Überlebensstrategien, ihre wirbellose, zweigeschlechtliche Indifferenz und vor allem auch der magische Glanz und Schimmer ihrer Spuren, die nicht permanent sichtbar sind, dieses verborgene und imaginative Netzsystem aus Bewegungen im Raum: All dies könnte unser Selbstverständnis als Mensch in Beziehung zu unserer organischen Körperlichkeit und zu unserem Umgang mit den Wesen und Ressourcen dieses Planeten in Frage stellen.

5.

Viele oder die meisten der grünen Bilder habe ich im Malprozess, im Lauf der Jahre ihrer Bearbeitungen und Reaktivierungsprozesse mit hochaufgelösten Substanzen behandelt. Hochverdünnte Farbpigmente aber auch homöopatisch zubereitete, potenzierte Mittel werden aufgesprüht oder dem Malwasser und Bindemittel zugesetzt. Mittel, die im Malkörper des Bildes, des Körpers des Malenden oder des Betrachtenden wirksam werden können.

Parallel mit den Malversuchen zu Farb- und Materialwirkungen an der Schwelle der Wahrnehmbarkeit setzte ich mich mit der Materialität und Immaterialität homöopathischer Mittelherstellung auseinander. Eine Substanz wird dabei so weit verdünnt und unter Einwirkung von Bewegungskräften aufgelöst, dass sie chemisch-physikalisch verschwindet und nicht mehr in Erscheinung tritt. Diese materielle Reduktion bedingt jedoch eine Erweiterung des Wirkungsspektrum, der Wirksamkeit, der Anwendbarkeit.

Die Wirkungssammlung, die Materia Medica der homöopatischen Mittel, wird als Sammlung von Mittelbildern bezeichnet. Eine Testperson bildet im Doppelblindversuch der Wirkungsanalyse eines Selbstversuchs mit dem eigenen Körper eine Projektionsfläche der Wirkungssymptome. Sie wird also selbst zum Bild, zum Abbild der getesteten potenzierten Substanz.

Was Lucy Lippard in der Geschichte der Konzeptkunst als Dematerialisation bezeichnet, was Lao Tse als die Funktion in der Leere darstellt, könnte hier in der gegenstandsbefreiten Malerei ein Prinzip sein, das die Öffnung und Erweiterung der Wirksamkeit hin zu konkreten Spannungsfeldern körperlicher und damit politisch-gesellschaftlichen Räume herstellt.

6.

Stellen die grünen Bilder als gegenstandsfreie Malerei etwas dar? Etwas, das wie eine Möglichkeit, einen neuen körperlichen-gesellschaftlich-politischen Raum öffnet oder einen bestehenden und vergangenen reflektiert? Bleibt es lediglich bei dem reinen unverbindlichen Eindruck, einer Landschaft, die an uns vorbeigezogen ist und verschwunden bleibt. Welche Rolle spielt das Angesprochene, das Ungewisse, an der Schwelle zur Ahnung?

Im Verlauf des Projektes Ecole Buissoniére 2002 wurden drei Quellen in der Landschaft um den Ort Alyssas erkundet, Wasserproben entnommen, homöopathisch potenziert und diese Mittel im Selbstversuch eingenommen. Sie wurden in mehreren kollektiven Projekten versuchsweise als Zusatz im Wasser beim Malen und Arbeiten verwendet. Diese Mittel, Source A, R und N, sind als Kunstobjekt ein Spiegel der Wirkungsmöglichkeiten von Landschaft. Sie bilden einen Ausgangspunkt der Vorstellung eines Archivs, das das Potential einer Gegend eines Ortes für die Menschheit sammelt und als Versprechen sichtbar macht. Das Versprechen einer unbemerkten Wirksamkeit.